Singkreis 1928

 Rund 30 Jahre bevor Elisabeth Böhme das Kurrendebuch erstellte, hatte sich schon ihre Mutter Helene Böhme, geb. Groth, als Chronistin eines Göttinger evangelischen Studentenchores betätigt. Unter der Überschrift "Eine kleine Übersicht über das Sommersemester 1928" sind drei Gedichte von ihr über den damaligen Singkreis überliefert, von denen das über die Singfahrt hier folgt:


Singfahrt am 10. und 11.6.1928


19 Leutchen, jung und frisch, 
fuhren samstags gleich nach Tisch 
Witzenhausen fröhlich zu, 
gingen dann in aller Ruh 
nach Glashütte noch hinaus 
Denn da winkt ein gastlich Haus. 

 Zwar – fast gingen sie verkehrt. 
Auch ne Thermosflasch erschwert 
durch Zerbrechen ihren Schritt. 
Fauser trinkt die Scherben mit, 
rettet des Kakaos Nass, 
Und dann wandern sie fürbaß. 

In Glashütte ruht man aus, 
trinkt und ißt beim frohen Schmaus, 
holt dann schnell die Noten her. 
Doch das Singen geht recht schwer. 
Darum summt die ganze Schar, 
bis die Stimme wieder klar. 

 In den Wald geht’s dann hinein, 
wo ein Teich mit seinem Schein 
ladet fast zum Baden ein. 
Doch es kann unmöglich sein, 
denn er ist zu wenig rein, 
darum lässt man es lieber sein. 

Über löcherigen Steg 
sucht im Dunkeln man den Weg. 
Schweigend geht’s zum Abendsang. 
Kräftig drauf das Lied erklang: 
"Hinunter ist der Sonnenschein, 
die finstere Nacht bricht stark herein." 

 Alle gehen zum Schlafen nun. 
Wer nicht schläft, versucht's zu tun, 
wirft sich auf dem Lager rum, 
reckt sich, legt sich wieder krumm. 
Heider seufzt so bang und schwer, 
daß Hans Mehl schläft nimmermehr. 

 Endlich ist die Nacht vorbei! 
Fauser haut mit viel Geschrei 
an die Tür zum Mädelzimmer. 
Allerdings, da schläft man nimmer! 
Doch er hat umsonst geschrien, 
denn es schläft da niemand drin. 

 Lisbeth Goldmann - Lilly Heider 
Und noch eine – doch ich leider
 nicht des Namens mich besinn, 
waren längst nicht mehr darin. 
Schon um 4 durchs Fensterlein 
gingen sie zum Wald hinein. - 

 Eh' zum Essen wird gesprungen, 
wird das Morgenlied gesungen: 
"Die helle Sonne leucht' jetzt herfür, 
fröhlich vom Schlaf aufstehen wir. 
Von Gottes Schutz das ernste Wort 
um Hilf lässt bitten immerfort. - 

 Beim Frühstück geht es fröhlich zu 
trotz keiner oder schlechter Ruh. 
Sie trinken ihre Milch aus Tassen, 
die Milch bald "mit" bald "ohne" fassen. 
(Es sei hier nebenbei gesagt, 
daß Haut nicht jedem sehr behagt.) 

 Doch einmal ist der Eimer leer. 
Jetzt geht es übers Singen her. 
Im Sonnenschein und auch im Regen 
hört man die Töne sich bewegen. 
Bäume halten ab den Guß, 
darum singt man mit Genuß. 

Doch das Küken, Martin Spühr, 
ist nicht immerzu dafür. 
Pausen herzlich gern begrüßt er.
In der Zeltbahn sie genießt er 
Doch man stört ihm seinen Traum, 
bindet ihn an einen Baum. 

 "Leineweber", "Bergleut fein" 
"Tannenbaum" und "Mondenschein", 
"Lob den Herrn" und "Sommerzeit" 
singet man mit großer Freud. 
Doch allmählich läßt das nach. 
Hunger sagt: "S' ist hoch am Tag!" 

 Doch man weiß sich zu bezwingen, 
endigt erst das viele Singen, 
Als es ein'germaßen geht, 
hält das Mittagsmahl erst spät.
 Pflanzlich nährt sich mancher Mann, 
weil er Fleisch nicht essen kann. 

 Backobst ist man umso mehr, 
bis die ganze Tüte leer. 
Martin, der Sartorius, 
wecket schändlichen Verdruß, 
denn es spürt bald die Neese 
seinen guten Harzer Käse. 

 Nach der Mittagspause lang 
folgt fürs Dorf der Chorgesang. 
Heimwärts geht’s dann ohne Zagen. 
Nur im Dorfe Ziegenhagen 
übt sich noch einmal der Chor, 
singt schon immer besser vor. - - 

 War der Tag so freudenreich, 
folgt auch das Verhängnis gleich, 
als sie durch des Waldes Mitten 
übern Berg nach Hause schritten. 
Oben ist man. Doch, o Schreck, 
4 von ihnen sind jetzt weg! 

 Nutzlos ist das Rufen, Warten; 
ängstlich werden, die da harrten. 
Heider geht "heimwärts" allein, 
Andere gehn zurück zu zweien. 
Mehl wählt aus den schönsten Weg, 
der zum Glück der rechte Steg. 

 Schon nach einer Viertelstunden 
Hat sich Heider eingefunden. 
Einig gehen sie nun weiter. 
Mählich wird man wieder heiter, 
wunderschön ist die Natur, 
wäschet ab der Sorge Spur. 

 Fröhlich geht es an ein Singen! 
Distichen Hans Mehl gelingen, 
zwar dazwischen schweigt er viel: 
Dichten ist kein Kinderspiel! 
Doch man karget mit dem Lohn, 
singt ihm Verse nur zum Hohn! 

 Schließlich muß das Singen ruhen,
Denn man hat zu viel zu tun, 
um zum Bahnhof schnell zu laufen. 
Vorwärts geht es ohne Verschnaufen. 
Aber, da verkehrt man geht, 
kommt zum Zug man doch zu spät. 

 Zwar sieht man manch trüb Gesicht, 
aber ärgern gibt es nicht. 
Erst wird ordentlich gegessen, 
viel zu lang hat man’s vergessen! 
Lagert sich dann hin im Kreise 
Und erzählt sich schaudernd leise. 

 Bübchen sehnt sich nach dem Bad, 
das ein kleines Kind stets hat, 
eh' man es ins Bettchen tut. 
Ungebadet er nun ruht. 
Wiegenlieder spottend klingen. 
Er verachtet solches Singen 

Plötzlich stört die schönst Geschichte 
glaubhaft kaum das neu Gerüchte: 
Fauser wäre wieder da, 
säße schon seit einer Stunde 
in der andern frohen Runde 
in dem feinsten Wartesaal 
ohne Sorg und ohne Qual! 

 Wie soll man den Kerl belehren, 
und dem bösen Unfug wehren, 
daß sich einer aus der Truppe 
machet auf 'ne Sondergruppe? 
Hängt ihm eine Glocke an, 
daß er nicht entweichen kann! 

 Endlich ist das Liedlein aus. 
Einig fährt man jetzt nach Haus. 
Plaudernd geht man durch die Nacht, 
und als manches man bedacht, 
legt man wieder sich zur Ruh. 
Bald falln auch die Augen zu.

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